Wir kennen es alle, wir sehen Kleidung in Geschäften und denken: das kannst Du Dir auch nähen ! So ging es mir mit Shirts oder Tops aus Rippjersey. Sieht super aus, ist aber unter der Nadel eine Diva. Alles was cool aussieht, lässt sich nicht unbedingt „cool“ vernähen.
Manchmal macht man die ersten Nähte und hat dann schon keine Lust mehr, weil irgendwas nicht so aussieht, wie Frau es sich vorgestellt hat. Das Material schlägt Wellen oder der Rippjersey dehnt sich aus und am Ende sieht das Shirt schon vorm ersten Tragen „ausgeleiert“ aus.
Allerdings gibt es einige Tricks, wie man dieses undankbare, coole Material bezwingen kann. Vorweg sei gesagt, es gibt kein Richtig und kein Falsch. Jeder muss da seinen Wege finden und bestimmt gibt es noch bessere Ideen und Möglichkeiten.
Ich bezwinge Rippjersey mit Nahtband und manchmal auch nur mit einem wasserlöslichen Stickvlies. Je nachdem, was ich nähe und was ich zu Hause habe. Nahtband ist nicht dehnbar und wird in der Regel auf alle Stellen gebügelt, wo eine Naht gesetzt wird (Schulternaht, Seitennaht, Armkugel usw.). Dadurch werden die Maschen und die Rippen zusammen gehalten, und verhindern das Schulternähte beispielsweise immer breiter werden, ausleiern oder sich „aushängen“.
Zu Beginn meiner „Rippen-Karriere“ habe ich viel mit G785 von Vlieseline gearbeitet, indem ich 2 cm breite Streifen zugeschnitten habe und diese an alle „offenen Kanten“ gebügelt habe. Dazu hatte ich irgendwann keine Lust mehr und habe mir eine Rolle schwarzes T15 Nahtband, ebenfalls von Vlieseline, auf einer 50 m Rolle bestellt (kann Frau immer gebrauchen). Das hilft mir jetzt bei meinem blau-weiß gestreiften Rippjersey leider gar nicht, da das schwarz auf den weißen Streifen durchscheinen würde. Außerdem habe ich noch T10 Nahtband im Vorrat, was ich mir ebenfalls mal zugelegt habe.
Ich möchte mir ein T-Shirt aus blau-weiß gestreiftem Rippjersey nähen
Ich bin zu faul, G785 zuzuschneiden und entscheide mich für das Nahtband T10 von Vlieseline. Dies ist 1 cm breit, find ich jetzt etwas knapp, aber gut.
Ich bügle das Nahtband auf die linke Seite der Schulternähte und den Ausschnitt. Da ich mir den Schnitt immer auf die Schnittteile zeichne, achte ich darauf, dass das Nahtband mittig auf der künftigen Naht liegt. Ganz wichtig: Das Bügeleisen pressen und nicht schieben.
Das mache ich sowohl auf dem Vorderteil, als auch auf dem Rückenteil. Wer jetzt ganz ehrgeizig ist, kann auch noch die Armausschnitte und Armkugeln mit Nahtband versehen, das schenke ich mir. Denke, ich bekomme es mit einem Streifen wasserlöslichem Vlies in den Griff.
Der aufmerksame Betrachter sieht, dass es bei der Rundung des Ausschnittes nicht so einfach ist, da das Nahtband ein paar Falten wirft. Am fertigen Kleidungsstück fällt es später nicht auf.
Endlich kann genäht werden. Ich beginne an der Nähmaschine. Hört sich komisch an, is aber so.
Ich wähle eine Jersey Nadel, den „einfachen“ Gradstich (Stichlänge 3) und reduziere den Nähfußdruck auf 5.
Vorab teste ich an einem Probestück, ob meine Einstellungen passen und lege los. Vorweg habe ich mir noch 2 cm breite Streifen wasserlösliches Stickvlies zugeschnitten: ich will auf Nummer sicher gehen, dass der coole Rippjersey auch wirklich gut und gleichmäßig transportiert wird.
Ich schließe also die Schulternähte mit der Nähmaschine und nähe auf meiner eingezeichneten Nahtlinie.
Ich wechsle zur Overlock. Jetzt kann sich nichts mehr „verschieben“, weder die Rippen noch die Streifen. An der Overlock erhöhe ich den Differenzialtransport auf 2 und nähe genau neben der vorherigen Naht.
Beim nächsten Mal würde ich übrigens vorher das wasserlösliche Vlies zurückschneiden, bevor ich mit der Overlock die Naht setze.
Als nächstes setzte ich die Ärmel ein. Auch hier nähe ich wieder ein Probestück, weil ich bei den Armausschnitten kein Nahtband aufgebügelt habe. Ich nähe wieder die erste Naht mit der Nähmaschine, als Unterstützung lasse ich wieder einen Streifen wasserlösliches Vlies „mitlaufen“.
Ich bin zufrieden. Das sieht gut aus.
Auch hier setze ich die Overlock-Naht knapp neben die Nähmaschinen-Naht. Beide Ärmel sind drin.
Mein persönlicher Endgegner ist der Halsausschnitt. Lieb ich nicht so sehr, läuft aber wie geschnitten Brot. Auch hier: erst Nähmaschine, dann Overlock. Und so sieht das Ganze dann aus.
Man sieht auf der linken Seite die Overlock-Naht knapp an der Nähmaschinen-Naht.
Ich bin mittelmäßig zufrieden. Ich hab teilweise das Nahtband nicht wirklich in der Mitte getroffen, macht aber nix. Wird später nicht auffallen, da ich den Ausschnitt absteppen werde.
Ein Shirt ist wirklich schnell genäht, wenn man nicht grad Streifen vernäht. Die Seitennähte erspare ich uns mal, hier gilt wieder: 1. Naht mit der Nähmasche (wieder mit einem Streifen wasserlöslichem Vlies), 2. Naht mit der Overlock.
Kommen wird zum Säumen. Für mich das Sahnehäubchen bei der Verarbeitung von Ripp-Jersey, da ich mir im letzten Jahr eine Coverstich- Maschine, die Bernette b62, gekauft habe. Und ich freue mich jedes Mal, wenn sie zum Einsatz kommt. Ich teste wieder die Einstellung an einem Probestück. Auch hier erhöhe ich wieder den Differenzialtransport, lasse diesmal aber kein wasserlösliches Vlies mitlaufen.
Pleiten, Pech und Pannen. Da wollte ich tatsächlich schon säumen und hatte die Seitennaht noch nicht mit der Overlock versäubert. Und nicht nur das: die Streifen in unteren Teil passen nicht genau aufeinander und auch das Label ist schief angenäht. Von wegen Good Vibes, also nochmal ein Schritt zurück… Trennen !
Am Ende wird alles gut, mein Monk jubelt, die Säume sind ein Traum.
Wer noch keine Covermaschine hat, kann den Saum mit wasserlöslichem Vlies bezwingen, einer Zwillingsnadel und/ oder ggf. mit einem dehnbaren Stich der Nähmaschine nähen.
Zum krönenden Abschluss gibt es jetzt noch einen „Streberstreifen à la Nähratgeber“ und das Shirt ist veredelt.
Tadaaa … fertig. Ich bin sehr zufrieden.
Das Shirt sitzt, passt, wackelt und hat Luft. Bei Rippjersey darf man einfach nicht aufgeben, Frau braucht nur etwas Geduld.
Natürlich schränkt Nahtband die Dehnbarkeit des Materials ein. Das ist ja der Sinn, nur müssen sich in meinem Fall Ausschnitt und Schulternähte nicht zwingend dehnen. Mein Ausschnitt ist so groß, dass ich gut mit dem Kopf durchkomme. Der Tragekomfort wird durch das Nahtband nicht eingeschränkt, das Shirt trägt sich super. Einziger Nachteil: Nur wenn das Shirt auf links gewendet wird sieht man das Nahtband, aber damit können mein Monk und ich gut leben.
Nahtband ist ein echter Gamechanger oder eben der „Rippjersey-Bezwinger“! So konnte ich schon das ein oder andere Teil aus diesem coolen Material umsetzen. Auch Tops mit großen Ausschnitten lassen sich so super aus Rippjersey nähen und es sieht einfach cool aus.
PS: Nahtband eignet sich übrigens auch perfekt bei der Verarbeitung von Strickstoffen. Da bevorzuge ich allerdings das T15 von Vlieseline, da es etwas breiter und etwas flexibler als das T10 ist.
Betty ist unter dem Namen Enaehmupupsi auf Instagram zu finden. Dort zeigt sie ihre genähten Werke. Mal Kleidung, mal Taschen und auch das eine oder andere Patchworkprojekt.
Sie näht mit einer Pfaff Expression 710 und der Bernette b62, mit beiden Maschinen ist sie auch bei unserem Podcast zu hören.